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AutorenbildAntje Reichert

Über Elternschaft und Fahrschule

Das Leben mit Kind - also Elternschaft - ist (aus meiner heutigen Perspektive) irgendwie ein wenig wie Fahrschulunterricht, sofern ich mich an meine Fahrstunden noch halbwegs realistisch erinnere. Ich (als Fahrer*in) bin plötzlich aufgefordert eine Menge mir noch fremder Dinge gleichzeitig zu tun. Ich fühle mich häufig sehr unsicher, bin total angespannt, meine Aufmerksamkeit ist auf die Straße gerichtet und ich wage kaum, meinen Blick mal schweifen zu lassen. Mein Kind als Beifahrerin / Beifahrer und vermeintliche Fahrlehrer*in gibt mir häufig Kommandos. Mitunter kennt sie / er durchaus den Weg - im Rahmen von Elternschaft kennt sie / er allerdings nur selten die Verkehrsregeln. Ich befinde mich also in der ständigen Zwickmühle zwischen den auf mich einprasselnden Anweisungen, meinem ebenfalls noch nicht sicher sitzenden Wissen was die Schilder am Straßenrand zu bedeuten haben und der moralischen Verpflichtung, das vermeintlich Richtige zu tun. Und das alles so nebenbei während ich Gas gebe, kupple, bremse, schalte, blinke, auf den Straßenverkehr achte und möglichst keine anderen Verkehrsteilnehmer*innen gefährde. Und um die ganze Angelegenheit noch ein wenig komplexer zu machen, arbeitet meine Beifahrerin / mein Beifahrer wahlweise mal mit und mal gegen mich und gibt auch mal Gas oder bremst ganz unabhängig davon was ich gerade so tue oder vor hatte.


Kleine Unterschiede zwischen Elternschaft und Fahrschulunterricht gibt es dennoch: eine Fahrstunde umfasst je nach Sinn und Zweck 45 - 90 Minuten und dann ist es vorbei. Ich kann dann aussteigen, sofern ich möchte auch gern fluchen und irgendwann einfach Weiteratmen und mein Körper wird sich hoffentlich irgendwann wieder entspannen. Im Rahmen der Elternschaft steuere ich quasi Tag und Nacht ohne Unterbrechung dieses Auto. Alle Insassen sind total übermüdet und während ich Gas gebe, kupple, bremse, schalte, blinke, auf den Straßenverkehr achte, möglichst keine anderen Verkehrsteilnehmer*innen gefährde und ich mich darum bemühe, dass ich das Beschleunigen und Bremsen meiner Beifahrerin / meines Beifahrers auf ein überschaubares Maß reduziere, wische ich der Beifahrerin / dem Beifahrer den Hintern ab, tröste, denke mir Mutmach-Geschichten aus, singe Lieder und spiele Ich-sehe-was-was-Du-nicht-siehst, um die Langeweile zu vertreiben. Ich (Antje, als Großfamilienkind) mag mir gar nicht ausdenken wie sich so eine Fahrt anfühlt wenn da mehr als 2 Insassen an Bord sind!


Und schließlich wird mir klar, dass ich nicht die einzige Verrückte hier in diesem Verkehrschaos bin. Da sind nämlich ziemlich viele Verkehrsteilnehmer*innen unterwegs, die gerade Wutanfälle regulieren, verschüttete Getränke aufwischen, über den Weg diskutieren und die ebenfalls seit vielen Nächten nicht mehr erholt geschlafen haben. Ein wahrer Irrsinn, dass wir uns überhaupt in diese Gefahrenlage begeben haben. Und die Fahrt endet übrigens (so meine aktuelle Perspektive): NIE. Ganz egal wie alt die oder der „Kleine“ ist, diese wunderbar tiefe Liebe mit all ihren Freuden, die ständige Bereitschaft für den anderen in den Ringkampf zu steigen und alles zu geben, die Ängste und die Sorgen, all das bleibt ein Leben lang. Die theoretisch denkbaren Pflicht- und Übungsstunden, um das Fahrzeug sicher zu führen, sind praktisch überhaupt nicht absolvierbar und die gewünschte Routine im Straßenverkehr, wird sich nicht einstellen. Das Leben hält stets neue Überraschungen für uns Eltern bereit.


Übrigens: Bauen Fahrschüler*innen mit dem Fahrschulauto einen Unfall, haftet in aller Regel die Fahrlehrerin / der Fahrlehrer bzw. die Fahrschule selbst. Auch hier gibt es einen Unterschied zur Elternschaft: Schuld sind stets die Eltern - hier gibt es eine ganz klare Rollen- und damit einhergehende Aufgabenverteilung - denn das war schon immer so und es hat sich bewährt. Und heißt das nun, dass ich freiwillig aus diesem Auto aussteigen würde wenn ich könnte? NEIN, auf keinen Fall (jedenfalls nicht ohne meine Beifahrerin / meinen Beifahrer) denn diese gemeinsame Reise und die damit verbundenen Erfahrungen sind für mich ein riesiger, durch nichts anderes zu ersetzender Schatz!


Was ist also zu tun damit wir gemeinsam irgendwann irgendwo sicher an ein Ziel kommen und das möglichst nicht nur gesund und munter sondern vielleicht auf freudig und entspannt? Wenn es uns im Auto so geht wie oben beschrieben dann sollten sich meine Beifahrerin / mein Beifahrer und ich ernsthafte Gedanken machen ob ein Auto wirklich das für uns stimmige Verkehrsmittel ist. Es gibt nämlich - doch für derartige Gedanken haben viele Eltern während einer turbulenten Autofahrt häufig keine Kapazitäten - keinen logischen Grund der Welt, warum wir unbedingt Auto fahren müssen. Wir dürfen auch selbstbestimmt andere Wege dürfen. Wir dürfen anhalten und Pause machen. Wir dürfen ein Fahrrad nutzen wenn wir meinen, dass Tempo, Kraftaufwand und ökologische Aspekte hier stimmiger für uns sind. Wir dürfen Flugzeug fliegen oder mit dem Heißluftballon fahren wenn es uns wichtig erscheint, anderen Verkehrsteilnehmern weitestgehend aus dem Weg zu gehen. Wir dürfen Zug fahren wenn uns danach ist, im Bordbistro ein Kindermenü zu essen. Und wie wir heute miteinander reisen ist keine Entscheidung für die Ewigkeit. Wir dürfen uns umentscheiden. Wir dürfen Prioritäten neu setzen.


Was das alles mit der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) zu tun hat? Die GFK ist ein hervorragendes Instrument, um zu lernen was wir gerade brauchen und um mit den Menschen um uns herum nach einem gemeinsamen Konsens zu suchen, der uns allen gut tut. Erst wenn ich Klarheit darüber habe, dass ich Flugangst habe oder meiner Beifahrerin / meinem Beifahrer bei Autofahrten permanent übel wird, kann ich nach alternativen Strategien (und Verkehrsmitteln) für unsere Bedürfnisse suchen. Vielleicht ist das Auto für mich und meine Begleitung ja gar nicht das wirklich stimmige Fortbewegungsmittel - vielleicht sind wir beide viel glücklicher und mehr in unserer Kraft wenn wir zu Fuß gehen, mit dem Schiff fahren oder wenn wir vereinbaren, dass alle 2h pausiert wird, ganz egal wo wir gerade sind.


Uns als Trainer*in hat die Beschäftigung mit der Gewaltfreien Kommunikation nicht nur mehr zu uns sondern auch mehr zu unseren Kindern geführt und dafür sind wir heute sehr dankbar. In unseren Workshops und Seminaren melden sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer häufig mit genau diesem Anliegen: ich möchte (wieder oder erstmalig) in einen ehrlichen und empathischen Kontakt mit meinem Kind / mit meinen Kindern kommen. Wie gelange ich dorthin? Warum ist meine Liebe denn nicht ausreichend dafür, dass wir uns wirklich verbinden und einen gemeinsamen Weg finden können? Unsere Antwort: die Liebe PLUS ein paar kleine Tricks und Kniffe, um Ehrlichkeit und Empathie den Weg zu ebnen, sind der Schlüssel zum Glück. Probier es doch gern aus. Unsere nächsten Veranstaltungen findest Du unter https://www.quasebarth.de/termine



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